Die im Jahr 2004 von den Bundesländern über das Bauordnungsrecht eingeführten verbindlichen Mindeststandards für Emissionen aus Bauprodukten haben für gut 10 Jahre das Entstehen einer Vielzahl möglicher Probleme der Innenraumluftqualität verhindert. Seit Herbst 2016 sind die bisherigen Regelungen aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs von 2014 zu nationalen Nachweisen bei CE-gekennzeichneten Produkten jedoch nicht mehr gültig. Das Ziel der meisten Akteure ist, die hohen Mindeststandards für Bauprodukte im Spannungsfeld mit dem EU-Recht so zu bewahren, dass Quellen für gesundheitsschädliche Emissionen sich nicht erst im fertigen Gebäude zeigen, wenn der Schaden bereits entstanden ist.
Das Bundes-Immissionsschutzgesetz hat in mehr als 40 Jahren zu einer grundlegenden Verbesserung der Außenluftqualität geführt. Nahezu genauso lange steht auch die Qualität der Innenraumluft im Fokus. Doch führte dies nicht zu einem vergleichbar umfassenden Regelwerk, wie es das Bundes-Immissionsschutzgesetz und seine nachfolgenden Regelungen darstellen. Eine gesunde Innenraumluft in Gebäuden gehört auch zu den Grundanforderungen des Bauproduktenrechts der Europäischen Union: „Es dient dem Schutz und der Verwirklichung der Grundrechte der (europäischen) Bürger, dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, aber auch dem Umweltschutz.“ (Schneider/Thielecke, 2015) Im Rechtsrahmen der EU liegt es im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrages über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten, für die Sicherheit von Bauwerken zu sorgen und die nötigen Anforderungen an die Qualität der Innenraumluft in Gebäuden zu stellen.
Anforderungen an Gebäude: Gesundheitsschutz
Für den Innenraum gelten in Deutschland die Bestimmungen der Landesbauordnungen. Danach sind bauliche Anlagen so zu errichten und instand zu halten, dass „die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden“ (§ 3 Musterbauordnung [MBO]). Bauprodukte, mit denen Gebäude errichtet oder die in solche eingebaut werden, haben diese Anforderungen insbesondere in der Weise zu erfüllen, dass durch „chemische, physikalische oder biologische Einflüsse Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen“ (§ 13 MBO).
Bei der Beurteilung der Handlungsmöglichkeiten zur Verringerung von Innenraumluftbelastungen spielen nicht nur die Art und das Ausmaß der gesundheitlichen Gefährdung selbst eine Rolle, sondern auch die Möglichkeit des Menschen, sich vor solchen Belastungen zu schützen. So können und sollen persönlicher Lebensstil und individuell geprägte Verhaltensweisen nicht reguliert werden: „Anders ist die Situation in Bezug auf diejenigen Quellen, von denen der Mensch – auch im Privatbereich – ohne seine direkte Einflussmöglichkeit umgeben ist, z. B. Bauprodukte. Hier ist staatlicherseits dafür zu sorgen, dass auf die gesundheitliche Unbedenklichkeit dieser Produkte vertraut werden kann.“ (UBA, 2006, S. 3)
Der Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten (AgBB)
Um eine gesundheitliche Bewertungsgrundlage für baurechtliche Regelungen zu schaffen und die allgemeinen Anforderungen der Landesbauordnungen umzusetzen, hat die Gesundheitsministerkonferenz der Länder im Jahr 1996 in Abstimmung mit den Baubehörden und den Bundesbehörden die Gründung des „Ausschusses zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten“ (AgBB) beschlossen. Der AgBB hat seine Arbeit im Jahr 1997 aufgenommen und sein Bewertungsschema „Vorgehensweise bei der gesundheitlichen Bewertung der Emissionen von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC und SVOC) aus Bauprodukten“ im Jahr 2002 fertiggestellt (vgl. AgBB, 2002). Seitdem hat der AgBB das Bewertungsschema regelmäßig aktualisiert, um die Entwicklungen im Stand des Wissens und der Technik zu berücksichtigen. Das AgBB-Bewertungsschema basiert auf dem Bericht „Evaluation of VOC Emissions from Building Products“ der European Collaborative Action (ECA) „Indoor Air Quality and its Impact on Man“ (vgl. ECA-IAQ, 1997). Experten der EU haben in diesem Bericht bereits ein umfassendes Vorgehen zur Bewertung von VOC erarbeitet, das als „pränormativ“ zu bezeichnen ist.
Umsetzung der AgBB-Mindeststandards im deutschen Baurecht
Nach einer Pilotphase zur freiwilligen Erprobung haben die Bauaufsichtsbehörden der Bundesländer das AgBB-Bewertungsschema als Grundlage für die bauaufsichtliche Zulassung von Bauprodukten mit hoher gesundheitlicher Relevanz eingeführt (vgl. Kirchner et al., 2015). Diese Umsetzung entsprach dem Gründungsauftrag des AgBB durch die Gesundheitsministerkonferenz auf eine entsprechende Bitte der Bauministerkonferenz. Bis Herbst 2016 hat das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) Bauprodukte für Aufenthaltsräume nach den „Grundsätzen zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten in Innenräumen“ zugelassen (vgl. DIBt, 2010). Betroffen waren diverse Bodenbeläge, darunter Parkett und Holzfußböden, Beschichtungen und Klebstoffe für Bodenbeläge und dekorative Wandbekleidungen. Die bisherigen Regeln gelten weiterhin für Bauprodukte ohne CE-Kennzeichnung.
Gesundheitliche Beschwerden trotz Erfüllung der Prüfkriterien
Neuere Untersuchungen zeigen, dass es auch dann zu gesundheitlichen Beschwerden kommen kann – u. a. wegen Geruchsproblemen oder Reizerscheinungen –, wenn die Produkte die Anforderungen der vom AgBB festgelegten Prüfkriterien für die Emission erfüllen. Die Beeinträchtigungen gehen so weit, dass Raumnutzer die Entfernung der Baumaterialien fordern (vgl. Müller/Mertes/Scutaru, 2016). Dies zeigt, wie wichtig die Prüfung der Emissionen aus Bauprodukten ist und dass sie mit der Entwicklung neuer Bauprodukte ebenfalls weiterentwickelt werden muss.

Sie lesen einen Auszug aus „Mindeststandards für Bauprodukte: gesundheitliche Bewertung und rechtliche Regelungen“ von Outi Ilvonen, M. Sc., Lic. rer. reg. und Dr. rer. nat. Wolfgang Plehn, erschienen in „Gebäudeschadstoffe und Innenraumluft“, Band 2. Den kompletten Artikel können Sie in unserem Shop als PDF-Download erwerben.
10 Seiten
Preis: € 7,70 (inkl. MwSt.)