Die Rechtsprechungsentwicklung im Zivilrecht folgt nicht der ordnungsrechtlichen Grenzwertbetrachtung, sondern stellt potenzielle Gefährdungen in den Mittelpunkt und setzt damit neue Akzente. Zwar bestehen laut Bauordnung auch ordnungsrechtliche Eingriffsmöglichkeiten, doch kommen diese in der Regel nur zögerlich zur Anwendung. Das juristische Instrumentarium in Sachen Gefahrstoff Asbest benötigt dringend einer Harmonisierung der einzelnen Gesetze und der je nach Regelungsbereich unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Während sich der Gesetzgeber hier zurückhält, schreitet jedoch überall dort, wo Gerichte entscheiden, die Entwicklung zügig voran. Für den Schutz der Bevölkerung und für Transparenz beim Eigentumswechsel im Immobilienbereich wären jedoch dringend Regelungen für ein allgemeines deutsches Asbestkataster notwendig. In einem Blick nach Frankreich wird dargestellt, wie eine Lösung dieser Aufgabe aussehen kann.
Zivilrechtliche Haftung
Entschädigungsfonds in den USA. 1982 war die Asbestindustrie in den USA unter der Last von Schadenersatzzahlungen zusammengebrochen. Die Produktion wurde wegen der Gefährlichkeit des Stoffes in den USA in der Folge komplett aufgegeben. Möglich waren die erfolgreichen Schadenersatzprozesse geworden, nachdem nach Jahren erfolgloser Verfahren der Nachweis gelungen war, dass Johns-Manville – mit 80 % Marktanteil Weltmarktführer bei Asbestprodukten – bereits seit den 1920er-Jahren von der großen Gesundheitsgefahr durch Asbestfasern gewusst hatte. Besonders verwerflich war, dass die Unternehmensleitung die Betriebsärzte schriftlich angewiesen hatte, den Betroffenen dieses Wissen zu verheimlichen.
Verpasste Chancen. Mit dem Zusammenbruch der Asbestindustrie in den USA hatten sich dort in den 1980er-Jahren Entschädigungsfonds wie der Manville Trust gebildet, die weltweit Asbestgeschädigte auf Antrag auszahlten. Die Antragsfristen sind mittlerweile jedoch verstrichen. Betroffen davon ist auch die Wohnungsbauindustrie in Deutschland, die ab den 1960er-Jahren in großem Umfang asbesthaltige Produkte aus den USA verbaut hat.
Fristen für Entschädigungsanträge in den USA verstrichen
Die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften im Bundesland Berlin waren von der Politik seit den 1990er-Jahren angehalten worden, die durch Asbestfaserexpositionen im Rahmen der Beseitigung von verbauten US-amerikanischen Baustoffen entstandenen Gesundheitsschäden bei den Entschädigungsfonds in den USA geltend zu machen. Doch wurden Anträge nicht oder nicht erfolgreich gestellt. Eine große Chance zur zivilrechtlichen Lösung der Problematik war damit vertan, denn es hätte die Gelegenheit bestanden, die tatsächlich Verantwortlichen – die Produzenten der Asbestprodukte – in die Haftung zu nehmen.
In der Immobilienwirtschaft war das mit dem Baustoff Asbest verbundene Problem bekannt, doch der Gesetzgeber gestattete trotz der Erkenntnisse aus den USA die Asbestverwendung in Baustoffen noch bis 1996.
Inzwischen zerfallen die asbesthaltigen Baustoffe in den Immobilien vielerorts. Asbesthaltige Floor-Flex-Platten zersetzen sich, der asbesthaltige Klebstoff darunter verliert die Haftung und gibt Platten frei. Zudem werden an asbesthaltigem Wandputz Fasern freisetzende Arbeiten wie Abschleifen oder Anbohren durchgeführt.
Neuere zivilrechtliche Urteile in Deutschland. In Deutschland sind es heute die Gerichte, die mit ihren Entscheidungen die rechtliche Situation verändern. Im Verwaltungsrecht war hier ein eindrückliches Beispiel das „Morinol-Urteil“ des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt im April 2016 (vgl. Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 3. Senat, Beschluss vom 11.4.2016 – 3 L 90/15 / 1 A 149/13 MD). Hierzu verweise ich auf den instruktiven Aufsatz von Owen Gräfe in diesem Heft.
Auch die Landgerichte Berlin und Dresden fällten in den letzten Jahren im Folgenden dargestellte Urteile, die die seit geraumer Zeit eher weniger beachtete Asbestproblematik wieder in den Fokus gerückt haben.
Zukünftiger Schadenersatz
Die erste hier vorzustellende Entscheidung traf das Landgericht (LG) Berlin am 21. Dezember 2012 zur Frage eines zukünftigen Schadenersatzes von Mietern und Personen, die wie z. B. Kinder oder Eltern in den Schutzbereich eines Mietvertrags fallen.
Der Sachverhalt. Die Kläger wurden in der Mietwohnung als Angehörige der Mieter einer Asbestfaserkontamination ausgesetzt, die durch eine unsachgemäße Asbestsanierung des Vermieters verursacht worden war. Mit einem Spaten waren asbesthaltige Floor-Flex-Platten aus dem Flur gestemmt worden, verbunden mit zahlreichen Plattenbrüchen und einer massiven Staubentwicklung. Damit trat der vormals im Baustoff fest gebundene Asbest als schwach gebundener Asbest aus. Die Kläger verklagten den Vermieter auf Feststellung, für einen zukünftigen Gesundheitsschaden aufkommen zu müssen.
Zukünftiger Schadenersatz wegen Faserfreisetzung bei Bearbeitung von fest gebundenem Asbest
Für den Verbraucher, also den Mieter einer Immobilie mit Asbestfaseraustrittsquellen, kann angesichts der langen Latenzzeit zwischen Aufnahme der einzelnen Asbestfaser und dem Eintreten der Krankheit auf diese Weise eine Sicherheit geschaffen werden, später einen Verantwortlichen heranziehen zu können.
Der Verlauf des Verfahrens. Zunächst hatte das Amtsgericht (AG) entschieden, dass der Anspruch auf zukünftigen Schadenersatz nicht gegeben ist, weil der Gutachter festgestellt hatte, dass in dem konkreten Fall die Wahrscheinlichkeit einer späteren Tumorerkrankung als sehr gering zu beurteilen war (vgl. AG Charlottenburg, Urteil vom 16.3.2012 – 219 C 271/09). Die Kläger gingen in die Berufung und erwirkten vor dem LG Berlin im Dezember 2012 eine Aufhebung der Entscheidung (vgl. LG Berlin, Urteil vom 21.12.2012 – 65 S 200/12). Das Landgericht stellte fest:
„Durch die Unterlassung der Staubbindung beim Entfernen der Vinylasbestplatten und danach ist jedenfalls die konkrete Gefahr, dass sich ungebundene Asbestfasern in der Luft befanden, begründet worden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Asbestfasern in der Lunge oder im Rippenfell der Kläger festgesetzt haben. Es ist mit den Ausführungen in dem vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachten davon auszugehen, dass sich Stäube relativ lange Zeit in Räumen befinden, sich bei fehlendem Luftzug auf Untergründen absetzen und bei erneuten Luftbewegungen wieder aufgewirbelt werden. […] Auch der vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige ist von einer über 6 Wochen erhöhten Kontamination nach der Sanierung ausgegangen, da die Stäube nicht gebunden wurden. Das Gutachten hat zudem eine Gefährdung durch die gebrochenen und zum Teil weiter vorhandenen Asbestplatten bejaht.“
Es kam zu dem Schluss:
„Es ist auch festzustellen, dass die Beklagte den Klägern für ihnen aus der fehlerhaften Behandlung und Bearbeitung von Vinylasbestplatten im August 2005 und der nicht unverzüglichen Abdeckung beschädigter Vinylasbestplatten zuvor erwachsende Gesundheitsschäden einzustehen und diesbezügliche Schäden zu ersetzen hat.“

Sie lesen einen Auszug aus „Asbest in Spachtelmassen – Handlungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Rechtsbereichen“ von RA Sven Leistikow, erschienen in „Gebäudeschadstoffe und Innenraumluft“, Band 1. Den kompletten Artikel können Sie in unserem Shop als PDF-Download erwerben.
8 Seiten
Preis: € 7,50 (inkl. MwSt.)